„HbbTV ist eine Chance für die Lokalen!“ – Interview mit Prof. Dr.-Ing. Uwe Kulisch, Leiter des Instituts für Innovative Medien Leipzig


Prof. Dr.-Ing. Uwe Kulisch, Leiter des Instituts für Innovative Medien
Ist HbbTV® eine gewinnbringende Lösung für Lokalfernsehmacher? Wie könnten Angebote aussehen und ist das für die klamme Lokalfernsehbranche überhaupt bezahlbar? Um diese und viele andere Fragen zu klären und den lokalen Fernsehveranstaltern die passenden Werkzeuge an die Hand zu geben, hat die Sächsische Landesmedienanstalt (SLM) im vergangenen Sommer das Projektbüro HbbTV und ein dazu passendes Projekt, welches sich mit der Entwicklung eben dieser Werkzeuge beschäftigt, ins Leben gerufen. Wichtiger Projektpartner ist das Leipziger Institut für Innovative Medien. Wir sprachen exklusiv mit dem Leiter des Instituts Prof. Dr.-Ing. Uwe Kulisch.



IPTV-Anbieter.info: Zuerst einmal vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Sie arbeiten gemeinsam mit sächsischen Lokalsendern – organisiert im Sendernetz e.V. – federführend an der Entwicklung neuer HbbTV-Lösungen für die ansässigen Regional- und Lokalsender. Wie entstand die Idee dazu?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Die lokalen Sender kämpfen oft darum zu überleben, beziehungsweise gut zu leben und arbeiten vor allem am Tagesgeschäft. Deshalb haben wir das Institut für Innovative Medien gegründet: Um neue Impulse zu geben. Aus diesem Grund auch die Nähe zur Hochschule (HTWK Leipzig, Anmerkung der Redaktion). Da wir ja hier das Potential dynamischer, wissbegieriger junger Menschen haben, die auf den Weg gebracht werden können zu experimentieren. Ohne Druck oder Blick auf die Zuschauerzahlen.

Und so haben wir uns im Rahmen des Instituts für Innovative Medien gemeinsam mit "info tv Leipzig" zusammengesetzt und darüber nachgedacht, was man noch mehr und Neues machen könnte. Hier in der Hochschule haben wir das IPTV – das ist unsere Spielwiese. Dort sagen wir, wir produzieren Inhalte aber wir testen auch aus, welche Mehrdienste fürs Fernsehen man anbieten kann.

So sind wir zum Thema HbbTV gekommen, haben das dann bei den Fernsehveranstaltern Kund getan, bei der Sächsischen Landesmedienanstalt vorgestellt und dann einen Antrag auf Förderung gestellt.

IPTV-Anbieter.info: Bereits vor einigen Jahren gab es mit der Multimedia Home Plattform (MHP) Bestrebungen, Fernsehen mit Zusatzdiensten zusammenzuführen. Das Projekt gilt in Deutschland als gescheitert – was ist besser an HbbTV?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Das Schlagwort neben HDTV und 3D ist schon seit Jahren HbbTV. Wir hatten schon vor zehn Jahren Diplomarbeiten von Medientechnikern, die das Thema behandelt haben, ob Computer und Fernsehen zusammenwächst. Das wurde vor etlichen Jahren schon mal mit MHP aufgenommen. Damals hatten wir hier an der Fakultät eine Testumgebung und haben mit den Studenten Zusatzdienste programmiert und getestet. Wir hatten eine Teststrecke und konnten im Haus Satellitenempfang simulieren. MHP ist dann vom Markt wieder verschwunden, da es einfach noch zu große technische Mängel gab. Zu lange Ladezeiten und zu teure Endgeräte beispielsweise.

HBBTV bieten schon fast alle TV-Sender ...

Mit dem Standard HbbTV haben wir den Faden von damals wieder aufgenommen und unsere Teststrecke für HbbTV qualifiziert. Dann können wir diese nutzen um das Hybrid-TV näher zu beleuchten und Anwendungen zu bauen, diese zu evaluieren und für die Lokalanbieter, die sich ja irgendwann auch auf diesen Weg begeben müssen, entsprechend vorarbeiten. Mit wissenschaftlicher Begleitung testen, wie solche Seiten aussehen müssen, wie sich der Nutzer verhält, was an Navigation zu beachten ist.

IPTV-Anbieter.info: Wie läuft die Arbeit des Projekts konkret ab?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Jetzt im Projekt sind Sachsen Fernsehen, info tv Leipzig, Sendernetz e.V. und das Institut für Innovative Medien beteiligt. Mit Sachsen Fernsehen haben wir einen großen der Branche, mit info tv einen Informationssender, der anders aufgebaut ist und mit Sendernetz e.V. die vielen kleineren Anbieter. Über diese Partner sollen die Bedürfnisse und die Strukturen mit in das Projekt eingebracht werden.

Der erste Schritt war nachzuschauen, welche Ausgangslage wir in Sachsen haben. Wie sieht die Senderlandschaft aus und wie müssen wir diese mit berücksichtigen. Wir sind ganz schnell zu der Erkenntnis gekommen, es nützt nichts etwas ganz hoch angebundenes zu entwickeln, wo dann am Ende der kleine Sender sagt, ich hab schon damit zutun mein Programm zu erstellen, das ist mir zu viel, das schaffe ich gar nicht. Wir haben geschaut was kann Hybrid-TV, was machen die Großen und wie unterscheidet sich das von dem, was der kleine Lokalsender braucht. Die wichtigste Arbeit des Projekts ist das Fundament für solche Hybridanwendungen zu gießen. Das heißt, ich muss die Fernsehanbieter in die Lage versetzen, in ihrem Arbeitsalltag Zusatzdaten zu generieren, die ich dann für hybride Anwendungen benötige.

Ziel ist es, je nach Größe des Senders, bei kleineren Anbietern fertige Templates oder für größere Sender dann auch Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, um individuelle Anwendungen erstellen zu können. Jetzt versuchen wir das Fundament mit einem Redaktionssystem was aufgebaut wurde zu setzen. Dieses generiert automatisch Metadaten, diese Zusatzinformationen werden dann automatisch in die Cloud geschickt. Daraus können sich die Sender dann bedienen, sofern der Sender diese frei gibt. Es können auch allgemeingültige Daten wie das Wetter in die Cloud gestellt werden, so dass sich dann mehrere Sender davon bedienen können.

IPTV-Anbieter.info: Sie arbeiten auch daran, Videotext für die Sender nutzbar zu machen – ist das nicht ein alter Hut?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Man könnten sagen, dass sei ein alter Hut, aber viele Sender haben das noch nicht. Die Idee ist, dass man mit einem Tastendruck entscheidet, ob diese Information auf die Internetseite, auf HD-Text über HbbTV oder auch über den Videotext erscheinen. Und mit einem Tastendruck werden die Daten dann in die verschiedenen Kanäle geschickt. Da ist hybrides Fernsehen auch nur ein Kanal. Wir gehen im Projekt weiter und betrachten auch beispielsweise Dinge wie Youtube-Kanal oder mobile Apps. Diese sollen dann auch im System betrachtet werden.

IPTV-Anbieter.info: Bekommen die Sender am Ende ein fertiges Paket oder geht es primär um Beratung?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Auf der Fernsehmesse im Herbst soll das neue Redaktionssystem vorgestellt werden. Das befindet sich gerade in der Testphase. Wenn die Sender sowieso investieren müssen, oder vielleicht noch gar kein Redaktionssystem haben, ist das eine gute Sache. Die Sender können sich informieren was das System kann, welche Tore es für die vielfältigen Distributionswege öffnet.

Dann zum Ende des Projekts 2013 sollen tatsächlich den Sendern Werkzeuge in die Hand gegeben werden. Die Sender können sich dann mit unserem oder auch mit ihrem eigenen Redaktionssystem in die Cloud einhaken. Dafür ist das System auch modular aufgebaut, man muss also nicht alles nutzen, sondern kann sich entsprechend einklinken.

Es wird Templates geben. Wir fangen ja gerade mit dem Videotext an. Genauso wird es welche geben für HD-Text oder dann auch für die Übergabestellen zu Youtube und Co. Dann können die kleineren Sender das Template nutzen oder es auch individuell anpassen. Die Anpassungen wären zusätzliche Arbeit, sollten nur die Templates genutzt werden, kann das schnell losgehen. Das muss der Sender individuell entscheiden.

IPTV-Anbieter.info: Welche neuen Werbemöglichkeiten sind denkbar? Schließlich leben die Lokalsender von diesen Einnahmen.

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Man könnte beispielsweise einen Werbespot produzieren und über HbbTV und den Red Button wird das Angebot der Woche oder ein Gewinnspiel angezeigt. Das sind die Überlegungen, die im Laufe des Jahres anstehen. Das wird vom Institut in Zusammenarbeit mit Hochschule und Studenten in der Testumgebung ausprobiert. Dort kann erforscht werden, wie Angebote für lokale Anbieter aussehen sollten. Denn schließlich sind die lokalen Anbieter ja auch lokal verwurzelt, so werden eventuell individuellere Angebote benötigt.

Das ist in diesem Jahr auf der Agenda zu schauen, was Anwendungen sein können, in denen der lokale Anbieter auch Chancen und Mehrwert sieht. Für Kunden, für Zuschauer – eine Erweiterung des Verbreitungsgebiets und der Zielgruppen. Das ist ja das Ziel, dass der lokale Anbieter mehr Leute und vielleicht auch spezieller erreicht, da über das Netz ja auch mehr Informationen zur Verfügung stehen. So könnte man eben auch die Zuschauer stärker binden, da der lokale Anbieter ja auch die lokale Kompetenz stärker bietet, ja bieten kann und muss als die großen Sender.

HBBTV von der ARD

IPTV-Anbieter.info: Es gibt auch Überlegungen für eine gemeinsame Sendeplattform. Wie könnte diese aussehen?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Die Idee ist sicherlich ein bisschen Zukunftsmusik. Es geht darum, einen Satelliten schmalbandig zu mieten und dadurch einen Einstieg für die Satellitenzuschauer zum Lokalfernsehen zu finden. Über den Kanal können die Zuschauer dann über einen Hybridempfänger in die einzelnen Sender springen. So lande ich dann plötzlich bei info tv oder wo auch immer und kann dann über Satellit das Programm empfangen, auch wenn das dann letztendlich über Internet empfangen wird. Aber dem Zuschauer ist das ja dann schlussendlich egal. Für ihn ist wichtig, dass die Inhalte da sind, dass sie schnell da sind, in einer vernünftigen Qualität da sind – das sind die Fragen. Das wäre eine wirklich gute Möglichkeit für die lokalen Sender, die sonst allein niemals die Verbreitung über Satellit bezahlen könnten.

Es gäbe natürlich auch die Möglichkeit das nicht nur auf Sachsen zu beschränken und andere Bundesländern mit dazu zu nehmen, da diese auch auf unser Projekt aufmerksam geworden sind. Die sind erstaunt: „Die Sachsen machen jetzt Hybrid-TV, das könnte doch auch für unsere Anbieter interessant sein. Können wir da nicht was zusammen machen?“. Das ist natürlich nur vernünftig – einen sächsischen Zuschauer könnte schließlich auch interessieren, was in Mecklenburg-Vorpommern passiert. Sollten sich Bundesländer und Landesmedienanstalten zusammenschließen, könnten Synergien für alle entstehen, alle könnten voneinander profitieren. Das ist schlussendlich auch das große Ziel: Die Kleinheit über Vernetzung zusammenzuführen. Hybrid-TV bietet hier über das Internet die perfekte Möglichkeit. Mehr Reichweite, mehr Vielfalt, mehr Spezialitäten.

IPTV-Anbieter.info: Können sich die Lokalfernsehsender diese Entwicklung leisten oder ist es gar existentiell, hier dabei zu sein?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Die Fragen sind berechtigt und diese stellen wir uns auch im Projekt. Wir wollen ja nicht nur eine Lösung für die im Projekt beteiligten Sender entwickeln, sondern es ist natürlich auch das Ziel der Sächsischen Landesmedienanstalt, dass diese Lösungen für alle sächsischen Anbieter nutzbar sind und dann auch genutzt werden. Wir sind der Meinung, dass die kleinen Lokalsender an Hybrid-TV nicht vorbei kommen. Es gibt natürlich auch heute noch Anbieter, die auf einem ganz niedrigen technischen Niveau ihr Programm in kleinen Kabelanlagen verbreiten und die sagen, das reicht momentan.

So werden nach Projektende sicher auch nicht alle lokalen Anbieter sofort begeistert mitmachen. Aber es sollen möglichst viele auf diesen Zug aufspringen, da sie verstehen, dass sie an dieser Entwicklung nicht vorbei kommen. Das kann ja auch im Kleinen mit Video-Text und HD-Text beginnen. Das bringt schon mal einen Mehrwert und kann Stück für Stück fortgesetzt werden. Das setzt natürlich eine aktive Mitarbeit der Sender voraus und hängt damit zusammen, wo jeder Sender seine Zukunft sieht. Wir können nur Impulse geben und über die im Projekt beteiligten Sender zeigen, wie es gehen kann.

IPTV-Anbieter.info: Wie viele Zuschauer können diese neuen Angebote denn dann nutzen?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Das ist die Frage, die wir auch bei Präsentationen des Projekts immer wieder gestellt bekommen: „Die Zielgruppe sind doch eher die Älteren – glauben Sie wirklich, dass die dann mit Hybrid-Fernsehen was anfangen können?“. So rennt man meines Erachtens in eine Sackgasse, schließlich kommen irgendwann die Jüngeren, die den Umgang mit dem Internet gewohnt sind. Wenn ich dann nicht meine Inhalte darauf orientiert habe, wird dass dieser Generation fehlen. Und wenn es den älteren Zuschauern immer leichter gemacht wird, mit Internetinhalten umzugehen, werden auch diese das nutzen. Das ist keine allzu weite Zukunftsmusik – da sind wir heute schon angekommen. Das ist eine Chance für die Lokalen.

IPTV-Anbieter.info: Welche technischen Voraussetzungen muss ein Sender mitbringen?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Letztendlich muss ein Sender sowieso von Zeit zu Zeit in neue Rechenkapazitäten investieren. Dort setzen wir an, wenn ein Sender sowieso vor hat dort zu investieren, sollte bekannt sein was wir hier entwickeln. Die Anbieter können zum Projektbüro kommen und sich beraten lassen, auf was sie achten müssen, um die Templates zu nutzen. Die Betreibersysteme sind aber noch nicht fertig konzipiert. Die Ergebnisse des Projekts stehen aber auf jeden Fall den sächsischen Anbietern dann auch offen, ein Baukasten, der von den Sendern dann genutzt werden kann. Über all das können sich die Anbieter beim Projektbüro informieren. Es wird hier in nächster Zeit auch Informationsveranstaltungen geben, dann später auch Schulungen.



IPTV-Anbieter.info: 2013 wird das Projekt enden. Welches Feedback der Lokalsender würden Sie sich nach Projektende wünschen?

Prof. Dr.-Ing. U. Kulisch: Ich wünsche mir, dass das Thema Hybrid-TV bis 2013 stark in den Köpfen verankert ist. Ich wünsche mir, dass mit den Hufen gescharrt wird und die Sender sagen, wir möchten jetzt loslegen. Auch wenn es erst mal mit kleinen Schritten sein mag. Dass sich die Sender über ihre Ziele und ihre Zukunft Gedanken machen. Natürlich kann eine neue Technologie kein Allheilmittel sein. Es muss eine gesunde Symbiose von Erwartungshaltung und realistischen Zielen geben.

IPTV-Anbieter.info: Vielen Dank Herr Kulisch für das sehr interessante Gespräch!


Bilder:
Portraitbild Prof. Dr.-Ing. Uwe Kulisch - © mit freundlicher Genehmigung von Prof. Dr.-Ing. Uwe Kulisch,
anderen drei Bilder: © IPTV-Anbieter.info


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