„Die Umbruchssituation ist eine große Herausforderung“ – Interview mit SLM-Geschäftsführer Martin Deitenbeck

Leipzig, 04.11.2013


Martin Deitenbeck (SLM)
Die alljährlich im Herbst stattfindende Fernsehmesse in Leipzig legt den Fokus seit jeher auf die privaten sächsischen Lokalfernsehveranstalter. Diese sehen sich dieser Tage durch Digitalisierung und Änderung der Nutzungsgewohnheiten – Stichwort Video-on-Demand – großen Herausforderungen gegenübergestellt, so der Geschäftsführer der Sächsischen Landesmedienanstalt Martin Deitenbeck. Wir sprachen mit ihm über Stärken des Lokalen, Herausforderungen der Digitalisierung und die Chancen durch HbbTV.



IPTV-Anbieter: Danke Herr Deitenbeck, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Vor einigen Tagen ist die Fernsehmesse in Leipzig zu Ende gegangen. Was waren die großen Themen 2013?

Martin Deitenbeck: Das "große" Thema dort war – und ist es auch weiterhin -, wie sich Lokal- TV in Sachsen wirtschaftlich und publizistisch zukunftsfähig fortführen lässt. Vor diesem Hintergrund wurden vor allem technische Entwicklungen diskutiert und offeriert (Veränderungen auf dem Kabelmarkt, HbbTV), Gefahren und Chancen regionaler Werbung erörtert, Workshops zu Vermarktungs- und Archivierungsfragen angeboten und die Frage der Finanzierbarkeit, des Förderbedarfs und der Fördermöglichkeiten zugunsten von Lokal-TV diskutiert.

IPTV-Anbieter: Viele Lokalfernsehveranstalter sind gespalten. Man möchte in Internetangebote investieren, ist aber noch nicht mal mit der Digitalumstellung „fertig“. Ist dieser Spagat für kleine Unternehmen auf Dauer zu stemmen?

Martin Deitenbeck: Nicht nur für die kleinen, auch für die großen Veranstalter stellt die derzeitige Umbruchsituation, die durch technische (Digitalisierung) und nutzungsbezogene Veränderungen (Verlagerung von Aktivitäten ins Internet) geprägt sind, eine große Herausforderung dar. Die SLM sucht die Veranstalter dabei nach Kräften zu unterstützen. Dass das Lokal-TV in Sachsen als Ganzes diese Herausforderung meistert und fortbestehen wird, davon bin ich überzeugt. Aber auf dem Weg dahin, sind die Veranstalter gefordert, durch verstärkte Kooperationen und Zusammenschlüsse ihre Akzeptanz und Finanzkraft zu bündeln und zu festigen, um sich mittel- und langfristig behaupten zu können.

IPTV-Anbieter: Bereits Ende 2009 sollte Schluss sein mit der analogen, terrestrischen Fernsehübertragung. Und jetzt in einer Zeit, in der RTL und Co. bereits den Abgesang auf DVB-T singen, sind noch immer nicht alle Lokalfernsehveranstalter restlos digital. Was ist schief gelaufen?

Martin Deitenbeck: Zunächst hoffe ich, dass die beiden großen privaten Veranstaltergruppen bei ausreichender Planungs- und Investitionssicherheit und einem für sie tragfähigem Geschäftsmodell der Terrestrik letztlich treu bleiben werden. Was den sächsischen Umstieg betrifft, so ging vor kurzem der letzte analoge Sender vom Netz. Dass dies so lange gedauert hat, lag an Verzögerungen bei den telekommunikationsrechtlichen Frequenzzuteilungen, auf die die SLM beziehungsweise der Freistaat Sachsen keinen Einfluss haben.

Hinzu kam, dass die nicht unkomplizierten vertraglichen Einigungen zwischen den Veranstaltern und dem Senderbetreiber, die von der SLM moderiert wurden, und die Implementierung eines rechtssicheren Förderkonzepts zusätzlich Zeit in Anspruch nahmen. Das hat länger gedauert, als ursprünglich gedacht. Aber diese zeitliche Streckung kam den Veranstaltern wirtschaftlich nicht ganz ungelegen und erbrachte letztlich eine Lösung, die für diese auch kalkulierbar ist.

IPTV-Anbieter: Für viele kleine Lokalsender ist die Digitalumstellung schlicht kaum zu stemmen. Bietet die SLM hier Unterstützung an?

Martin Deitenbeck: Zunächst einmal: Die Digitalisierung betrifft sämtliche Mediengattungen. Diese Entwicklung und die damit verbundene Notwendigkeit, sich dieser anzupassen, brachen auch nicht schicksalhaft über Nacht herein, sondern wurden mit langem Vorlauf und in angemessenen Anpassungszeiträumen angekündigt und umgesetzt. Schwierig war sicherlich die Übergangszeit, in der die zunehmende Digitalisierung, speziell bei den Verbreitungswegen, neben die bisherige analoge Veranstaltungsform trat. Dies verursachte bei gleichbleibenden Werbeetats und Zuschauerzahlen zusätzliche Ausgaben. In dieser Phase hat aber die SLM die Veranstalter mittels zweier gezielter Förderprogramme (Digitaler Umstieg I und II vom Oktober 2009 und März 2012) unterstützt.

Die Mehrkosten im Rahmen der DVB-Verbreitung für Lokalveranstalter werden wiederum durch Förderung des Investionskostenanteils innerhalb der Verbreitungskosten erheblich verringert. Auch erforscht und erprobt die SLM neuartige Distributionswege in Zusammenarbeit mit den Lokalfernsehveranstaltern, um die Empfangsmöglichkeit und damit die Anzahl der Zuschauer zu erhöhen. Exemplarisch ist hier das HbbTV-Projekt der SLM genannt.

Unterstützung im Studiobereich, etwa für Investitionen in Kameras und Schnittplätze, darf die SLM hingegen nicht gewähren. Auch direkte Zuschüsse der SLM zur Erstellung von Programminhalten sind ihr nicht möglich, da diese Form der Unterstützung der verfassungsrechtlichen Aufgabe der SLM als hoheitliche Aufsichtsbehörde über die privaten Lokalveranstalter widersprechen würde.

IPTV-Anbieter: Die Kabelnetzbetreiber sind auch nicht gerade Vorbild wenn es um das Ende des analogen Zeitalters geht. Nur Nostalgiker oder geht es um handfeste, wirtschaftliche Interessen?

Martin Deitenbeck: Wie nostalgisch die Kabelnetzbetreiber sind, mag ich nicht zu beantworten. Als Wirtschaftsunternehmen berücksichtigen sie jedenfalls auch die Nutzungsgewohnheiten ihrer Abonnenten. Eine bedeutende Rolle spielen zudem die Wohnungsgesellschaften, die über Gestattungsverträge das Programmangebot beeinflussen und häufig auf analoge Signallieferung bestehen. Daher würde ich vermuten, dass die Kabelnetzbetreiber von sich die Digitalisierung gerne schneller voranbringen würden, als sich dies in der Praxis angesichts tradierter und liebgewonnener Sehgewohnheiten umsetzen lässt.

IPTV-Anbieter: In diesem Zusammenhang scheint das Stichwort HDTV Zukunftsmusik. Sehen Sie trotzdem eine Zukunft für hochauflösendes Lokal-TV?

Martin Deitenbeck: Die Kosten für die Produktion hochauflösender Inhalte sind in den vergangenen Jahren stark gefallen. Produktionsseitig sehe ich keine unüberwindbaren Hürden für hochauflösendes Lokal-TV. Bei der Programmverbreitung wird es darauf ankommen, dass die Entgelte für die Signalzuführung an Sender bzw. Kabelkopfstellen und für terrestrische Sender nicht steigen.

IPTV-Anbieter: Die Dritten Programme machen es vor: Lokale Inhalte können ein Millionenpublikum erreichen. Warum sind viele Lokalfernsehmacher trotzdem in solch finanziellen Schwierigkeiten? Sind es die Übertragungskosten, welche an die Kabelnetzbetreiber überwiesen werden müssen?

Martin Deitenbeck: Tatsächlich kann man die Aussage, dass lokale Inhalte auf großes Interesse stoßen, bestätigen. Die von der SLM jährlich durchgeführte Funkanalyse Lokal-TV beweist die hohe Akzeptanz des lokalen Fernsehens in Sachsen. Warum dennoch wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten, kann nicht generalisiert beschrieben werden. Die Verbreitungskosten unterscheiden sich je nach Gebiet und Region zum Teil erheblich und sind nicht der alleinige Verursacher der Schwierigkeiten.

Ein großes Problem liegt in der wirtschaftlichen Lage der jeweiligen Region. Gehen die Umsätze der dortigen Unternehmen zurück, werden zuerst die Werbeetats eingefroren. Darüber hinaus bestehen aber auch hartnäckige Vorbehalte der werbetreibenden Wirtschaft gegenüber Lokal- TV, was sie häufig dazu veranlasst, ihre Werbung in einem anderen Medium zu schalten. Und nicht zuletzt ist kleinteilige, lokale Werbung deutlich schwer zu akquirieren als überregionale Werbung – ganz abgesehen davon, dass die Dritten Programme der öffentlich-rechtlichen Anstalten sich dieser Mühe nicht zu unterziehen brauchen, da sie umfänglich durch Gebührenmittel finanziert werden.

IPTV-Anbieter: Vor einiger Zeit verkündete Leipzig Fernsehen den Sendebetrieb einzustellen. Und obwohl es offenbar wieder Investoren gibt, scheinen selbst große Lokalfernsehanbieter kaum wirtschaftlich tragbar zu sein. Können es die Kleinen schaffen, wenn selbst die Großen schwanken?

Martin Deitenbeck: Was sich für großstädtisches Fernsehen als schwierig erweist, muss nicht zwingend auch für ländliches, lokales Fernsehen gelten. Die Unterschiedlichkeit der Werbemärkte, der Verbreitungswege und der Zuschauerinteressen und –verbundenheiten erfordern eine differenzierte Betrachtung. Gleichwohl brachten die manifesten Schwierigkeiten in Leipzig und Chemnitz erneut ins Bewusstsein, dass Lokal-TV im Gesamten eine programmliche Ausrichtung darstellt, die bei strenger Anwendung ökonomischer Kriterien nur schwer rentabel produziert werden kann. Zugleich kann der Fortbestand dieser - publizistisch in hohem Maße erwünschten - Programmform nicht allein dem aufopfernden Engagement der Veranstalter bis hin zu deren "Selbstausbeutung" überantwortet werden.

Es bedarf daher in der aktuellen Umbruchsituation einer zumindest vorübergehenden substantiellen Unterstützung – die aber die bisherige Unterscheidung in kleine und große Veranstalter, zugunsten künftiger, größerer Veranstaltereinheiten, ablösen könnte. Die SLM ist bereit, ihren Beitrag zur Sicherung von Lokal-TV in Sachsen zu leisten. Wenn die Politik ihren Worten ebenfalls Taten folgen lässt, sehe ich gute Chancen, sächsisches Lokal-TV auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen.

IPTV-Anbieter: Wurden bereits Sender eingestellt und wie reagieren die Zuschauer?

Martin Deitenbeck: In den vergangenen fünf Jahren bzw. seit 2008 haben dreizehn Veranstalter ihren Sendebetrieb in sächsischen Kabelanlagen eingestellt. Der Großteil der davon betroffenen Anlagen, wurde an anderweitige Veranstalter zugewiesen, so dass letztlich rund 7.000 Kabelhaushalte verblieben, die nicht länger mit Lokal-TV versorgt werden. Über etwaige Zuschauerreaktionen, bezüglich einer Programmeinstellung oder eines Programmwechsels, ist der SLM nicht bekannt.

IPTV-Anbieter: Wie könnte und kann Lokalfernsehen von Smart-TV und HbbTV profitieren?

Martin Deitenbeck: Das Lokalfernsehen könnte sehr stark von Hybrid-TV profitieren. Hybrid- TV bietet weitaus mehr interaktive Informationen als Bildschirmtafeln oder Teletext. Man kann angepasste Internetseiten in den HD-Text einbeziehen und so mit starkem Ortsbezug verbundene Informationen im Lokalfernsehen anbieten, wie z.B. Öffnungszeiten von Behörden oder Notdiensten. Elektronische Anzeigetafeln auf Bahnhöfen und in Geschäften sind vielerorts sichtbar. Hier braucht es nur noch eine Verknüpfung zum Lokalfernsehen, damit die Werbebotschaft im Wohnzimmer landet.

IPTV-Anbieter: Wo sehen Sie die sächsischen Regionalsender in zehn Jahren?

Martin Deitenbeck: Wie bereits erwähnt, wird derzeit intensiv darüber diskutiert, eine Infrastrukturförderung mit regionalisiertem Zuschnitt vorzunehmen und eine solche Unterstützung an moderate Qualitätsvorgaben zu knüpfen. Dies umgesetzt, könnte die Programm- und Veranstalterlandschaft konzentrieren, ohne die Lokalität der Inhalte zu beeinträchtigen. In wieweit diese Überlegungen aber tatsächlich in konkrete Maßnahmen münden, lässt sich derzeit noch nicht sagen.

Dennoch bin ich trotz aller Unwägbarkeiten, die eine Vorausschau über einen Zeitraum von zehn Jahren angesichts der derzeitigen rasanten Veränderungen mit sich bringt, davon überzeugt, dass im Jahr 2023 in Sachsen auch weiterhin ein vielfältiges Angebot an Lokal-TV-Programmen existieren wird, das auf unterschiedlichsten Verbreitungswegen in die Haushalte gelangt und dort in spezifischer Weise Lokalität und soziale Verbundenheit vermitteln wird.

IPTV-Anbieter: Vielen Dank Herr Deitenbeck für das interessante Interview!

Weiterführendes:

» weitere Infos zur Sächsischen Landesanstalt für privaten Rundfunk und neue Medien (SLM)
» erstes Interview mit Martin Deitenbeck zum Thema Internet, TV und Regionalfernsehen
» zweites Interview mit Martin Deitenbeck zu den Themen Digitalisierung und Abschaltung analoger Satellitenübertragung

Bild: Martin Deitenbeck - © mit freundlicher Genehmigung von Martin Deitenbeck / SLM


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